Dieser Film von Gerold Hofmann zeigt das bislang unbekannte Motiv: Das sowjetische Atombombentestgelände in Kasachstan, das von 1949 bis 1989 benutzt wurde. Es ist auch über 40 Jahre nach dem Ende der Tests in der Atmosphäre immer noch strahlend und wurde zum ersten Mal von einem westlichen Kamerateam besichtigt, wobei der kasachische Geheimdienst erst am Tag der Abreise aus Deutschland endgültig grünes Licht gab. Juri Borantschenko, der in Deutschland lebt und arbeitet – als Geologe an der Universität Halle – reiste mit: Aus eigener Neugier und weil er die Idee umsetzen will, das ehemalige Bombentestzentrum als touristisches Ziel anzubieten, so wie die Amerikaner „Trinity“, den Ort, an dem die erste Atombombe gezündet wurde. Sinnigerweise sind die Mini-Vans, mit denen Kamerateam und Besucher auf das Gelände gefahren werden, bereits passend mit „Adventure Tourism East Kasachstan“ beschriftet.
In der Nähe des sowjetischen Atomtestplatzes waren Semipalatinsk, 150 km entfernt und Kurchatov. Die letztere Stadt ist nach Igor Kurchatov benannt, dem Vater der ersten russischen Atombombe von 1949. Sie liegt am Ufer des Irtisch, der aus China kommt und nach Russland fließt – samt eventueller radioaktiver Fracht. Die Stadt ist noch nicht sehr lange überhaupt auf russischen Landkarten zu finden, denn sie war das Zentrum der UDSSR-Atomtests, wo die Beteiligten wohnten und arbeiteten und deshalb eine „verbotene Stadt“. Das Testgelände liegt am östlichen Ende der ehemaligen UDSSR, nahe der chinesischen Grenze. Es leben Bauern dort, die noch in den 80ern an der Strahlung starben.
Monsteridee: Kanalbau mit Atombomben
Das Bombentestgelände ist mit 19.000 km2 fast so groß wie Belgien und seit den 90er-Jahren offen für Wissenschaftler aus aller Welt. Von 1949 bis 1989 wurden hier insgesamt 461 Bomben gezündet, davon 113 über der Erde und 348 nach dem Stopp der atmosphärischen Bombentests 1963 unterirdisch in Stollen im Gebirge.
Ein solcher Stollen ist in der Region Balapan, wo der Boden noch plutoniumverseucht ist – man muss zwar keine Schutzanzüge mehr tragen, aber Schutzstiefel. Die Strahlung in der Luft beträgt dort heute noch 4 Mikrosievert in der Stunde – das bedeutet, eine Woche Aufenthalt dort entspricht von der radioaktiven Strahlung her einem Jahr Aufenthalt in Deutschland.
Im Januar 1965 wollte die UDSSR ähnlich dem US-Programm Plowshare Atombomben zivil nutzen, um mit entsprechend vielen nuklearen Explosionen Gletscher zu schmelzen, Kanäle zu sprengen und Flüsse umzuleiten.
Beim Test mit einer atomaren Sprengladung entstand ein weit größerer Krater als erwartet. Dieser füllte sich mit Wasser und befindet sich heute noch als hoch radioaktiver Atomsee im Testgelände.
Die hochgesprengte Erde wurde als fallout mit verschiedenen Winden in verschiedenen Höhen in zwei radioaktiven Wolken nach Semipalatinsk und in die Altai-Region nach Russland getragen.
Kameras und Messgeräte wurden in Messtürmen aus Beton 3 Kilometer von dem Epizentrum der Explosion untergebracht. Noch näher platzierter Beton schmolz in der Explosion, alle Türme und der Boden sind plutoniumverseucht. Auch die Tierversuche ähnelten denen der USA: Pferde, Schafe, Schweine und Hunde wurden auf dem Testgelände angebunden und dem Atomblitz ausgesetzt, allerdings wurden die russischen Schafe nicht vorher geschoren und starben nach der Explosion mit qualmendem Fell.
Die meisten russischen Versuchstiere waren jedoch zweibeinig: Wie Professor Boris Gusef berichtet, der zu Sowjetzeiten in der Strahlenklinik in Semipalatinsk arbeitete, waren die Testbedingungen geradezu darauf angelegt, die eigene Bevölkerung zu verstrahlen, um die möglichen Folgen des Atomkriegs am lebenden Objekt zu erforschen.
Im August 1953 wurde die erste Wasserstoffbombe in Kasachstan gezündet und dies vor dem kompletten Abtransport der nahe am Testgelände wohnenden Bevölkerung. Dieser Abtransport fand auf offenen Fahrzeugen statt, lediglich mit Decken als Schutz, und die Lager lagen ebenfalls unter offenem Himmel, ohne Schutz vor Wind, Wetter und Strahlung.
80 Prozent der Tests fanden bei Sturmwind mit Regen statt, so Gusef, und deshalb sei zu vermuten, dass dies Absicht war, ebenso wie die Tatsache, dass alle Explosionen im Herbst stattfanden, wenn der Weizen reif ist und geerntet wird. Gusef nennt dies ein „Präventives Kriegsszenario gegen die eigene Bevölkerung“: Jedes Wochenende um 9 Uhr gab es „Erdbeben“. Insgesamt waren 300.000 bis 400.000 betroffen und es gibt heute noch doppelt soviel Krebsfälle in Kasachstan wie anderswo in der ehemaligen Sowjetunion. Auch Herzprobleme sind im Dorf Mukur nahe Semipalatinsk deutlich erhöht.
Heute leben noch 10.000 Menschen in Kurchatov, damals waren es vier Mal so viele. Ein ehemaliger Luftwaffenstützpunkt 30 Kilometer vom Epizentrum der überirdischen Explosionen wird heute als Bauernhof verpachtet. Der Boden dort ist zwar nicht mehr gefährlich verseucht, doch bei jedem der häufigen Sandstürme besteht noch die Gefahr, mit dem herüberkommenden Sand auch Plutonium vom Testgelände einzuatmen oder zu schlucken.
Der Film:
Gerold Hofmann, Atomtests in Kasachstan, UdSSR von 1949 bis 1989