Merkel-Dinner mit Karlsruher Richtern

Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik Deutschland (50, CDU), war bei der Kanzlerin essen, als noch ein Verfahren gegen die Corona-Notbremse lief.

Das Bundesverfassungsgericht bekommt Nachhilfe in Sachen Verfassungsrecht. Und zwar vom Verwaltungsgericht Karlsruhe! Es bescheinigt dem höchsten deutschen Gericht, nicht ausreichend auf Fragen von Journalisten geantwortet zu haben.

Hier lesen und hören Sie den Bericht:

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Kommentar: Dass wir das noch erleben dürfen: Dem Bundesverfassungsgericht wird vom Verwaltungsgericht Karlsruhe bescheinigt, die Presse zu ignoriert zu haben.
Es lag auf der Hand, dass von interessierter Presse nach dem Kanzlerdinner mit dem Bundesverfassungsgericht am 30.06.2021, bei dem die Corona Politik erörtert wurde, dieses Treffen thematisiert wurde, da es während des laufenden Verfahrens beim BVerfG stattgefunden hat. Da keinerlei Auskünfte über den Inhalt die Gespräche erteilt wurden, hat Jeder – wohl zu Recht – Einflussnahme und Absprachen vermutet unter dem Motto „keine Antwort ist auch eine Antwort“. Durch dieses Verhalten der Regierung und des Bundesverfassungsgerichts hat unsere Demokratie großen Schaden genommen.

In dem Verfahren einer BILD-Journalistin gegen das BVerfG ging es der Sache nach nur noch um Kosten. Doch dabei stellte das VG Karlsruhe fest, dass das BVerfG Fragen zum Abendessen der Richter mit Angela Merkel zu Unrecht nicht beantwortet hat.

„Über Karlsruhe ist nur der blaue Himmel.“ Diese Konrad Adenauer zugeschriebene Äußerung nach einer für ihn unliebsamen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gilt in Zeiten supranationaler europäischer Gerichte nicht mehr durchgehend. Aber von deutschen Gerichten muss sich das BVerfG nichts sagen lassen, jedenfalls, was seine Rechtsprechung angeht.

Anders sieht es aus, wenn das BVerfG selbst – etwa wegen seiner Justizverwaltungstätigkeit – verklagt wird. In diesem Fall entscheiden einfache Gerichte über die Rechtmäßigkeit seines Handelns. So jüngst das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe. Es entschied mit Beschluss vom 14. Juni 2022 (Az. 4 K 233/22), dass das BVerfG der Journalistin Lydia Rosenfelder, die für Bild und Bild am Sonntag arbeitet, vorgerichtlich Fragen hätte beantworten müssen. Hintergrund des Verfahrens waren Fragen von Rosenfelder an das BVerfG zum gemeinsamen Abendessen von Verfassungsrichter:innen mit Angela Merkel und Bundesminister:innen am 30. Juni 2021. 

Befangenheitsanträge nach Abendessen zwischen Richtern und Regierung

Obwohl derartige Abendessen mitsamt Vorträgen als Austausch zweier staatlicher Institutionen schon lange Tradition haben, sorgte die Veranstaltung im Sommer 2021 für Kritik. Denn dort wurde auf Initiative von Gerichtspräsident Stephan Harbarth die Agenda umgeplant und das Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ aufgenommen – eine typische Problematik von Corona-Maßnahmen auch der Bundesregierung. Zu diesem Zeitpunkt waren gegen die Maßnahmen mehrere hundert Verfahren anhängig. In einer LTO vorliegenden Terminvorbereitung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV, jetzt BMJ) hieß es, das Tischgespräch diene dazu, „einander die jeweilige institutionelle Perspektive verständlicher zu machen“. Hinweise des BVerfG zu laufenden Verfahren erwartete das BMJV indes nicht. Das BVerfG werde konkrete Äußerungen meiden, „um auch nur den Anschein zu vermeiden, hier werde mit der Bundesregierung unter Ausschluss der übrigen Verfahrensbeteiligten ‚gekungelt'“. Das Kanzleramt stufte das Thema zwar als grundsätzlich geeignet ein, hatte jedoch aufgrund der zeitnahen Entscheidung des BVerfG in Sachen Bundesnotbremse und einem weiteren Thema mit Aktualitätsbezug laut Aktenlage Bedenken („allerdings berühren beide Themen auch aktuelle Streitpunkte“).

Doch das Thema blieb. Am Abend hielt Verfassungsrichterin Susanne Baer einen abstrakten Vortrag hierzu, die ehemalige Justizministerin Christine Lambrecht referierte konkret zu politischen Unsicherheiten während der Coronakrise.

Nach Bekanntwerden dieses Vorgangs wurden von den Beschwerdeführern der Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnotbremse, vertreten durch Rechtsanwalt Nico Härting, Befangenheitsanträge gegen Gerichtspräsident Stephan Harbarth und Richterin Susanne Baer gestellt. Diese stützten sich u.a. darauf, dass ein Austausch über die Thematik zwar mit der Bundesregierung, mangels mündlicher Verhandlung aber nicht mit den Beschwerdeführern stattgefunden habe. Die Anträge wurden im Oktober 2021 zurückgewiesen.

Journalistin geht Verdacht der Geheimhaltung nach und will Auskünfte vom BVerfG

Journalistin Rosenfelder recherchierte zu dem Vorgang. Sie interessierte sich für den Inhalt der Rede von Richterin Baer und nähere Umstände der Umplanung des Abends durch Gerichtspräsident Harbarth. Dabei folgte sie dem Verdacht, dass entsprechende Informationen vom BVerfG unter Verschluss gehalten wurden. Denn in der vom BVerfG hierzu an einen anderen Journalisten herausgegebenen Akte, die Rosenfelder vorlag, befanden sich weder der Vortrag von Richterin Baer noch Informationen über die Umplanung des Abends. Die Akte enthielt vom 5. Juni bis zum Zeitpunkt des Abendessens am 30. Juni nur einen Vermerk zur Reiseplanung. Den Verdacht Rosenfelders steigerte dabei der Umstand, dass sich ein Dankesschreiben des Gerichtspräsidenten zwar in den Akten des Kanzleramts, nicht aber in der vom BVerfG herausgegebenen Akte befand.

Es begann ein Fragemarathon mit für die Journalistin unbefriedigendem Ergebnis. Als erstes bat Rosenfelder am 22. Oktober 2021 das BVerfG darum, den Inhalt des Kurzvortrages der Verfassungsrichterin Susanne Baer zu erfahren, den diese auf dem Abendessen gehalten hatte. Daraufhin wurde ihr am 25. Oktober 2021 von der Pressestelle des BVerfG mitgeteilt, dass zum Kurzvortrag keine Hand- oder Nebenakten vorlägen. Nachfragen am 2. November 2021 dazu, ob es Zuarbeiten zur Rede von Frau Baer gegeben habe und warum in der Akte des BVerfG nicht vermerkt sei, dass Themenvorschläge für das Abendessen vom Gerichtspräsidenten stammten, beantwortete die Pressestelle mit der Floskel: „Ich verweise auf unsere bisherige Korrespondenz.“

Bundesverfassungsgericht verweigert Auskunft und schickt immer die gleiche Antwort

Diese Formulierung wurde sodann zur Standardantwort mit der das Gericht die Fragen der Journalistin jedes Mal aufs Neue ins Leere laufen ließ. Ihre Fragen wurden nicht beantwortet, auch nicht erklärt, warum keine Antwort erfolgte, stattdessen auf eine vorangegangene Korrespondenz Bezug genommen, die mit den Fragen nichts zu tun hatte.

So geschah es auch bei der nächsten Anfrage Rosenfelders am 4. November 2021: Gibt es eine Aktenordnung beim BVerfG?“, „Gibt es eine Unterscheidung zwischen Verfahrensakten und Verwaltungsvorgängen?“, „Woher kommt die zeitliche Lücke in der Akte?“, „Sind Bestimmungen über Aktenordnung im Zusammenhang mit dem Kanzlerdinner eingehalten worden?“ Antwort jeweils: „Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz.“ Besonders kafkaesk: Auch auf die Frage: „Auf welche ‚bisherige Korrespondenz‘ nehmen Sie hier Bezug?“, erhielt Rosenfelder am 10. November die Antwort: „Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz.“

Erst als sie den Rechtsweg bestreitet …

Gleiches Spiel bei fünf weiteren Fragen der Journalistin vom 1. Dezember 2021 zum Fragekomplex des nicht in die Akte aufgenommenen Briefs von Harbarth an Merkel. Antwort am 2. Dezember: „Ich nehme Bezug auf die bisherige Korrespondenz.“ Schließlich stellte sie mit Schreiben vom 17. Januar 2022 unter Verweis auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch neun weitere Fragen an das BVerfG, die vorherige Anfragen teilweise zusammenfassten. Zudem fragte Rosenfelder u.a. nach einer Verschriftlichung der anlässlich des Abendessens geführten Gespräche, nach Verantwortlichkeiten für die Planung des Treffens und den Rechercheumfang bei der Beantwortung ihrer vorangegangenen Fragen seitens des BVerfG. Die Antwort einen Tag später: „Ich nehme Bezug auf die vorangegangene Korrespondenz.“

Die Bild-Journalistin machte nun ernst und beantragte vor dem VG Karlsruhe, vertreten durch Partsch & Partner Rechtsanwälte, den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf Beantwortung der Fragen. Rechtsgrundlage hierfür ist eine Norm, mit der sich die BVerfG an sich besonders gut auskennt: Die Pressefreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz. Aus diesem folgt nach ständiger Rechtsprechung – allerdings nicht des Bundesverfassungs-, sondern des Bundesverwaltungsgerichts – ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch, den Medienangehörige auch gegen Bundesgerichte geltend machen können. Diese müssen auf Tatsachenfragen antworten, sofern keine Ausnahmefälle wie etwa Sicherheits- oder überwiegende Geheimhaltungsinteressen greifen.

… antwortet das BVerfG auf die die meisten Fragen

Nachdem die Journalistin den Auskunftsantrag bei Gericht eingereicht hatte, wurde das BVerfG plötzlich auskunftsfreudiger. Es ließ im Verfahren sechs Fragen anwaltlich durch ihre Prozessbevollmächtigten, die Kanzlei Dolde Mayen & Partner, beantworten. Unter anderem wurde in den LTO vorliegenden Schriftsätzen mitgeteilt, dass sich ein Brief von Harbarth an Merkel nicht in den Handakten befand, da er wegen eines Büroversehen falsch einsortiert worden sei. Den Brief übermittelte das BVerfG auch als Anlage. Weiter antwortete das BVerfG, dass die Protokollabteilung die zuständige Stelle für die Organisation des Besuchs war, eine Verschriftlichung von Gesprächen beim Abendessen nicht erfolgt sei und sämtliche bekannte Dokumente zum fraglichen Anlass vorgelegt worden seien. Somit wurde nach Auskunft des BVerfG die Akte nicht manipuliert und es wurden auch keine weiteren amtlichen Dokumente zurückgehalten.

Bundesverfassungsgericht wollte Kosten nicht tragen

Doch rechtlich etwas falsch gemacht zu haben, räumte das BVerfG nicht ein. Nach beidseitiger Erledigungserklärung beantragte es vielmehr, der Journalistin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zwar bestritt das Gericht den Auskunftsanspruch nicht per se, doch die Antragstellung sei „verfrüht“ gewesen, da das BVerfG über den Auskunftsanspruch noch nicht entschieden habe.

Zudem ließ das BVerfG vortragen, dass kein Anordnungsgrund bestehe. Hintergrund: Journalisten müssen, wenn sie im einstweiligen Rechtsschutz Antworten von Behörden begehren, wegen der Vorwegnahme der Hauptsache ein gesteigertes öffentliches Interesse und einen starken Gegenwartsbezug geltend machen. Das BVerfG argumentierte, diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Denn Angela Merkel sei nicht mehr im Amt, womit auch die von der Journalistin behauptete „besondere politische Brisanz“ nicht bestehe.

VG Karlsruhe entscheidet inzident in der Sache und gegen das BVerfG

Da eine beidseitige Erledigungserklärung vorlag, musste das Verwaltungsgericht Karlsruhe nur noch über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen (§ 161 Abs. 2 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO) entscheiden, wobei es unter summarischer Prüfung die Erfolgsaussichten des ursprünglichen Antrags prüfte und damit Gelegenheit hatte, sich in der Sache zu äußern.

Dabei stellte es fest, dass entgegen dem Einwand des BVerfG die Antragsstellung nicht verfrüht gewesen sei, sondern ein Rechtsschutzbedürfnis für diese bestanden habe. Denn das BVerfG habe „lediglich auf die bisherige Korrespondenz (verwiesen), ohne auf die Fragen im Einzelnen einzugehen“. Dass noch eine Beantwortung der Fragen im Raum gestanden habe, sei für die Journalistin nicht ersichtlich gewesen.

Ein Anordnungsgrund liege ebenfalls vor. Einerseits bestünde an Zusammenhängen der Coronapolitik der Bundesregierung und anhängigen Gerichtsverfahren ein gesteigertes öffentliches Interesse. Zudem sei wegen der zeitlich noch relativ kurz zurückliegenden Entscheidung des BVerfG zur Bundesnotbremse sowie der damit einhergehenden Berichterstattung zu den Befangenheitsanträgen gegen Richter auch ein fortdauernder Gegenwartsbezug gegeben. Ein Eilverfahren sei statthaft, da der Sachverhalt mit zunehmendem Zeitablauf im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens an Bedeutung und Nachrichtenwert verloren hätte.

BVerfG muss Kosten überwiegend tragen

Der Sache nach sei das BVerfG dem Vorliegen eines Auskunftsanspruchs „in materiell-rechtlicher Hinsicht in Bezug auf sechs Fragen auch nicht substantiiert entgegengetreten“. Im Hinblick auf weitere drei Fragen kam das VG Karlsruhe zu dem Ergebnis, dass u.a. wegen der unkonkreten Reichweite der Fragen kein Auskunftsanspruch bestanden habe. Im Ergebnis muss das BVerfG nun 2/3 und die Journalistin 1/3 der Kosten tragen.

LTO wollte vom BVerfG wissen, warum die Fragen der Journalistin Rosenfelder nicht vorgerichtlich, sondern erst nach Einschalten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe beantwortetet wurden. Eine entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet.

Quelle: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/vg-karlsruhe-bverfg-presseanfrage-auskuenfte-bild-auskunftsanspruch-kosten-klage-rosenfelder/

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